
„Prompting ist tot“ – dieser Satz geht viral. Er öffnet Türen und Kassen für die neuen Akteure: Anbieter vorgeblich fertiger „AI-Automation-System-Workflows“. Vier- und fünfstellige Preise sind normal.
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Was wird verkauft?
Ein Export-File. Oft die komplette Integration durch den Verkäufer selbst, weil der Kunde die Technik nicht beherrscht.
Was bewusst vorenthalten wird, sind die internen, unsichtbaren Steuerungsebenen der KI-Agenten.
Dies umfasst die gesamte proprietäre Steuerungslogik jedes Workflows: die zentralen System- und Rollen-Prompts (die das Verhalten, Wissen und die Grundhaltung des Agenten definieren); die Bias- und Guardrail-Prompts (die ethische Standards wahren sowie Diskriminierung, PII-Leaks oder Haftungsfallen verhindern); die Chain-of-Thought- und Tool-Calling-Prompts (die den internen Denk- und Handlungsablauf steuern).
Diese oft mehrzeiligen Anweisungen bleiben unsichtbar. Der Verkäufer bezeichnet sie als „proprietäres IP“ und „Wettbewerbsvorteil“, die notwendig sind, um die technische Integrität und Sicherheit des Systems zu gewährleisten und gleichzeitig die geschäftliche Integrität des Unternehmens (durch den Schutz des geistigen Eigentums) zu sichern.
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Info: Proprietäres IP (Proprietary Intellectual Property) bezeichnet geistiges Eigentum (z.B. spezifische Prompts, Algorithmen, Geschäftsgeheimnisse), das sich im alleinigen Besitz eines Unternehmens befindet. Es wird geheim gehalten, um einen exklusiven Wettbewerbsvorteil zu sichern. Im Kontext von KI-Workflows wird der Begriff häufig verwendet, um die Geheimhaltung der internen Funktionsweise zu rechtfertigen.
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Das paradoxe ist, durch diese Geheimhaltung bleibt der Kunde ungeschützt, da er die genauen Steuerungsmechanismen und Guardrails nicht einsehen kann. Die notwendige Transparenz für Audits, Compliance-Prüfungen (z.B. DSGVO-Konformität) sowie die Nachvollziehbarkeit (Erklärbarkeit der KI-Ergebnisse) werden dem Kunden vorenthalten. Der Kunde muss sich somit auf die Vertrauenswürdigkeit des Anbieters verlassen, statt die Integrität des Systems selbst überprüfen zu können.
Hier beginnt das Problem im DACH-Raum. DSGVO, BDSG und EU-KI-Verordnung (AI Act) verlangen lückenlose Nachweisbarkeit und Rechenschaftspflicht. Wer einen solchen Workflow produktiv einsetzt, muss Behörden und Betroffenen erklären können, wie das System zu seinen Ergebnissen kommt.
Das ist unmöglich, wenn die zentralen Prompts verborgen bleiben.
Die meisten Workflows sind standardisiert und werden an Dutzende Kunden verkauft. Individuelle Anpassung an interne Richtlinien oder Dokumentationspflichten erfolgt selten, höchstens gegen Aufpreis.
Das Unternehmen, das den Workflow kauft oder kaufen lässt, bleibt im Sinne der DSGVO „Verantwortlicher“. Er trägt die volle Haftung, auch wenn der externe „KI-Experte“ alles eingerichtet hat.
Abmahnungen und Bussgelder landen beim im Impressum genannten Verantwortlichen, nicht beim Verkäufer (Experten für Automatisierung).
„System Workflows“ sind nichts anderes als unsichtbares Prompting, teuer verkauft und mit allen Risiken beim Käufer belassen.
Verantwortungsvolle Unternehmen verlangen von jedem Anbieter die vollständige Offenlegung aller System-Prompts als Teil der technischen Dokumentation.
Sie lassen diese Prompts von Ihrem Rechts- oder Datenschutzteam prüfen.
Sie bauen kein System auf, dessen Kern sie nicht verstehen und nicht selbst anpassen können. Sie machen sich oder ihr Team unabhängig; die Grundlagen von Prompting und Guardrails sind erlernbar.
Sie nutzen externe Experten als Berater, nicht als Black-Box-Lieferanten.
Prompting ist nicht tot. Es wurde in „System Workflows“ eingepflegt und als Premium-Produkt mit verschleierter Haftung weiterverkauft.
Unternehmen, Führungskräfte und Entscheider, die KI verantwortungsvoll einsetzen, öffnen die Black Box wieder.